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Märchen über Mühlen

 

Mühlen regten die Fantasie der Menschen an. Ihre Geschichten handeln auch von Mühlen.

 

 

Der Waise Handmühle

Ein armes elternloses Mädchen war allein nachgeblieben wie ein Lamm und dann als Pflegekind in eine böse Wirtschaft gekommen, wo es keinen andern Freund hatte als den Hofhund, dem es zuweilen eine Brotrinde gab. Das Mädchen musste vom Morgen bis zum Abend für die Wirtin auf der Handmühle mahlen und stand einmal die Mühle stille, weil die müde Hand ausruhen wollte, so war gleich der Stock da, um das arme Kind anzutreiben. Des Abends waren die Hände der Waise so starr wie die Klötze. Das Gnadenbrot, welches die Waisen essen, muss fast immer mit Schweiß und Blut bezahlt werden. Gott im Himmel allein hört die Seufzer der Waisen und zählt die Tränen, die von ihren Wangen rollen! — Eines Tages, als das schwache Mädchen wieder die schwere Mühle drehte und voller Unmut war, weil die Wirtin sie den Morgen hungern ließ, kam ein hinkender einäugiger Bettler in zerlumpten Kleidern heran. Es war aber kein wirklicher Bettler, sondern ein berühmter Zauberer aus Finnland, der sich, um nicht erkannt zu werden, in einen Bettler verwandelt hatte.

 


er Bettler setzte sich auf die Schwelle, sah sich die schwere Arbeit des Kindes an, nahm ein Stück Brot aus seinem Schultersack, steckte es dem Kinde in den Mund und sagte: „Mittag ist noch weit, iss etwas Brot zur Stärkung." Die Waise nahm den trockenen Bissen und er schmeckte ihr besser als Weißbrot, auch fühlte sie gleich ihre Kräfte wieder zunehmen. Der Bettler sagte dann: „Dir Armen müssen wohl von dem ewigen Umdrehen der schweren Mühle die Hände recht müde sein?" Das Mädchen sah den Alten ungewiss an, wie um zu forschen, ob seine Frage ernsthaft oder spöttisch gemeint sei. Da sie aber fand, dass sein Antlitz einen liebreichen und ernsthaften Ausdruck hatte, so erwiderte sie: „Wer kümmert sich um die Hände einer Waise? Das Blut dringt mir immer unter die Nägel und der Stock fährt mir über den Rücken, wenn ich nicht so viel arbeiten kann, als die Wirtin verlangt." Der Bettler ließ sich nun ausführlich erzählen, was für ein Leben das Kind führe. Als die Waise geendigt hatte, nahm der Alte aus seinem Sacke ein altes Tuch, gab es ihr und sagte: „Wenn du dich heut Abend schlafen legst, so binde dies Tuch um deinen Kopf und seufze aus der Tiefe des Herzens: „Süßer Traum, trage mich dahin, wo ich eine Handmühle finde, welche von selbst mahlt, so dass ich mich nicht mehr abmühen darf!" Die Waise steckte das Tuch in ihren Busen und dankte dem Alten, der sich sogleich entfernte. Als sich das Waisenkind Abends schlafen legte, tat es nach Vorschrift des Bettlers, band das Tuch um den Kopf und stieß unter Seufzern und Tränen seinen Wunsch aus, obgleich es selber nicht viel Hoffnung darauf setzte. Dennoch schlief es leichteren Herzens ein, als sonst. Ein wunderbarer Traum führte das Mädchen in weite Fernen und ließ es auf seiner Wanderung viel seltsame Dinge erleben. Zuletzt kam es tief unter die Erde und da mochte wohl die Hölle sein, denn alles sah schauerlich und fremd aus. Die Hoftore standen weit offen und kein lebendes Wesen rührte sich. Als das Mädchen weiter ging, ließ sich ein Geräusch vernehmen, wie wenn eine Handmühle gemahlen würde. Dem Geräusch folgend ging das Waisenkind schüchternen Schrittes vorwärts, bis es unter dem Abschauer einer Vorratskammer einen großen Kasten fand, aus welchem das Geräusch einer Mühle an sein Ohr drang. Das Kind war nicht stark genug, den Kasten zu rühren, geschweige denn von der Stelle zu bringen. Da sah es im Stalle ein weißes Pferd an der Krippe und kam auf den guten Einfall, das Pferd aus dem Stalle zu ziehen, es mit Stricken vor den Kasten zu spannen und ihn so fortzuführen. Gedacht, getan: Die Waise schirrte das Pferd an, setzte sich auf den Deckel des Kastens, ergriff eine lange Rute und jagte in vollem Galopp nach Hause.

Als sie am andern Morgen erwachte, fiel ihr der bedeutsame Traum wieder ein und zwar stand er so lebendig vor ihr, als wäre sie wirklich eine Strecke weit auf dem Deckel gefahren. Als sie die Augen aufriss, erblickte sie den Kasten an ihrem Lager. Sie sprang auf, nahm ein halbes Loof (Scheffel) Gerste, das vom Abend nachgeblieben war, schüttete es in die Öffnung, die sie im Deckel des Kastens fand und siehe das freudige Wunder: Die Steine fingen augenblicklich an zu lärmen! Es dauerte nicht lange, so war das fertige Mehl im Sack. Jetzt hatte die Waise einen leichten Stand; die Mühle im Kasten mahlte alles, was man ihr bot und das Mädchen hatte weiter keine Mühe, als das Getreide oben hineinzuschütten und das Mehl unten herauszunehmen. Dm Deckel des Kastens durfte sie aber nicht öffnen, der Bettler hatte es ihr streng verboten, indem er hinzufügte: das würde dein Tod sein!

Die Wirtin kam bald dahinter, dass der Kasten dem Waisenkinde beim Mahlen half, sie beschloss daher das Mädchen aus dem Hause zu jagen und dafür den Mahlkasten zu behalten, der kein Futter verlangen würde. Zuerst wollte sie sich aber mit dem Dinge näher bekannt machen, um zu sehen, wo denn der Wundermüller eigentlich stecke. Die Begierde, das Geheimnis herauszubringen, stachelte das Weib Tag und Nacht. An einem Sonntagmorgen schickte sie das Waisenkind zur Kirche und sagte, sie selbst wolle dableiben, um das Haus zu hüten. Ein so freundliches Anerbieten hatte die Waise noch niemals vernommen; vergnügt zog sie ein reines Hemd und etwas bessere Kleider an und machte sich eilig auf den Weg. Die Wirtin lauerte so lange hinter der Tür, bis ihr das Mädchen aus dem Gesichte war, dann nahm sie aus der Vorratskammer ein halb Loof (Scheffel) Getreide und schüttete es, auf den Deckel, damit der Kasten es mahle, aber der Kasten tat es nicht. Erst als eine Hand voll in das Loch des Deckels kam, machten sich die Steine an's Werk; aber nun kostete es dem Weibe noch viel Mühe und Arbeit, den schweren Kastendeckel loszumachen. Endlich ging er so weit auf, dass die Alte den Kopf hineinzustecken wagte, — aber o weh! Eine lichte Flamme schlug aus dem Kasten heraus und verbrannte die Wirtin; es blieb nichts weiter von ihr übrig als eine Handvoll Asche.

Als der Witwer späterhin eine andere Frau nehmen wollte, fiel ihm ein, dass sein Pflegekind, die Waise, vollständig erwachsen war, so dass er nicht erst anderswo auf die Brautschau zu gehen brauche. Die Hochzeit wurde still gefeiert und als sich die Nachbarn am Abend entfernt hatten, ging der Mann mit seiner jungen Frau zu Bette. Als diese den andern Morgen in die Vorratskammer ging, war der Kasten mit der Handmühle verschwunden, ohne dass man die Spuren eines Diebes fand. Obgleich nun überall gesucht und nah und fern angefragt wurde, ob der vermisste Gegenstand irgend jemanden zu Gesicht gekommen sei, so hat man doch bis auf den heutigen Tag nichts entdeckt. Der wunderbare Handmühlenkasten, den einst ein Traum aus der Tiefe der Erde heraufgeholt hatte, musste wohl in eben so wunderbarer Weise dahin zurückgekehrt sein.

 

Estnische Märchen, 1869.

 

Warum das Meerwasser salzig ist

 

Mündlich in Leer und Hannover


Es war einmal ein lieber, wackerer Knabe, der hatte weiter nichts auf Erden als eine blinde Großmutter und ein helles Gewissen. Als er nun aus der Schule war, wurde er Schiffsjunge und sollte seine erste Reise antreten. Da sah er, wie alle seine neue Kameraden mit blankem Gelde spielten, und er hatte nichts,
auch nicht den geringsten Mutterpfennig. Darüber war er traurig und er klagte es der Großmutter. Sie besann sich erst ein wenig, dann humpelte sie in ihre Kammer, holte eine kleine alte Mühle heraus, schenkte sie dem Knaben und sprach:
„Wenn du zu dieser Mühle sagst:

'Mühle, Mühle, mahle mir

Die und die Sachen gleich allhier!'

 

So mahlt sie dir, was du begehrst; und wenn du sprichst:

'Mühle, Mühle, stehe still,

Weil ich nichts mehr haben will!'

 

so hört sie auf zu mahlen. Sag aber nichts davon, sonst ist es dein Unglück!" Der Junge bedankte sich, nahm Abschied und ging aufs Schiff. Als nun wieder die Kameraden mit ihrem blanken Gelde spielten, stellte er sich mit seiner Mühle in einen düstern Winkel und sprach:

„Mühle, Mühle, mahle mir

Rohe Dukaten gleich allhier!"

 

Da mahlte die Mühle lauter rohe Dukaten, die fielen klingend in seine lederne Mütze. Und als die Mütze voll war, sprach er nur:

„Mühle, Mühle, stehe still,

Weil ich nichts mehr haben will!"

 

Da hörte sie auf zu mahlen. Nun war er von allen Kameraden der reichste; und wenn es ihnen an Speise fehlte, indem der Schiffshauptmann sehr geizig war, sprach er nur:

„Mühle, Mühle, mahle mir

Frische Semmeln gleich allhier!"

 

So mahlte sie so lange, bis er das andere Wort sagte; und was er auch sonst noch begehrte, alles mahlte die kleine Mühle. Nun fragten ihn die Kameraden wohl oft, woher er die schönen Sachen bekomme; doch da er sagte, er dürfe es nicht sagen, drangen sie nicht weiter in ihn, zumal er alles ehrlich mit ihnen teilte.

Es dauerte aber nicht lange, da bekam der böse Schiffshauptmann Wind davon und das war Wasser auf seine Mühle. Eines Abends rief er den Schiffsjungen in die Kajüte und sprach:
„Hole deine Mühle und mahle mir frische Hühner!" Der Knabe
ging und holte einen Korb voll frischer Hühner. Damit jedoch war der gottlose Mensch nicht zufrieden: er schlug den armen Jungen so lange, bis dieser ihm die Mühle holte und ihm sagte, was er sprechen müsse, wenn sie mahlen solle; den andern Spruch aber, wenn sie aufhören solle, lehrte er ihn nicht und der Schiffshauptmann dachte auch nicht daran, ihn darum zu fragen. Als der Junge gleich nachher allein auf dem Verdeck stand, ging der Hauptmann zu ihm und stieß ihn ins Meer und dachte nicht daran, wie viel Sorge und Mühe er Vater und Mutter gemacht hatte und wie die blinde Großmutter auf seine Rückkehr hoffte; daran gedachte er nicht, sondern stieß ihn ins Meer und sagte, er sei verunglückt, und meinte, damit sei alles abgetan! Hierauf ging er in seine Kajüte und da es eben an Salz fehlte, sagte er zu der kleinen Mühle:

„Muhle, Mühle, mahle mir

Weiße Salzkörner gleich allhier!"

 

Da mahlte sie lauter weiße Salzkörner. Als aber der Napf voll war, sprach der Schiffshauptmann: „Nun ist's genug!", doch sie mahlte immerzu und er mochte sagen, was er wollte, sie mahlte immerzu, bis die ganze Kajüte voll war. Da fasste er die Mühle an, um sie über Bord zu werfen, erhielt aber einen solchen Schlag, dass er wie betäubt zu Boden fiel. Und sie mahlte immerzu, bis das ganze Schiff voll war und zu sinken begann und ist nie größere Not auf einem Schiffe gewesen. Zuletzt fasste der Schiffshauptmann sein gutes Schwert und hieb die Mühle in lauter kleine Stücke; aber siehe, aus jedem kleinen Stück wurde eine kleine Mühle, gerade wie die alte gewesen war und alle Mühlen mahlten lauter weiße Salzkörner. Da war's bald ums Schiff geschehen: Es sank unter mit Mann und Maus und allen Mühlen. Diese aber mahlen unten am Grunde noch immerzu lauter weiße Salzkörner und wenn du ihnen nun auch den rechten Spruch zuriefest, sie stehen so tief, dass sie es nicht hören würden. Siehe, davon ist das Meerwasser so salzig.
 

Märchen und Sagen, 1854

 

Die Elfenmühle.

Es war einmal eine Frau, die hatte zwei Töchter und schickte die eine zum Mahlen in die Mühle. Als das Mädchen zur Mühle kam, fand es statt des Müllers Elfen darin; die nahmen sie und schmückten sie wie eine Braut.

Drauf gingen die Elfen weg, um noch andere zu holen und ließen das Mädchen mit einer Elfenalten allein in der Mühle zurück. Das Mädchen aber überredete die Alte, sie ziehen zu lassen und diese half ihr das Maultier mit Mehl beladen und ließ sie ruhig fortgehen.

Als nun die Elfen in die Mühle zurückkamen und das Mädchen nicht mehr fanden, eilten sie ihr nach und holten sie auf dem Wege ein. - Und wie sie das beladene Maultier sahen, auf dem das Mädchen zwischen den beiden Sacken saß, sagten sie zu einander: „Da ist der eine Sack und da ist der andere Sack und da ist auch der Mittelsack. Wo ist das Mädchen?"

Und so oft der schwarze Hahn krähte, wichen sie vom Maultiere zurück und so oft der weiße krähte, kamen sie wieder heran. Doch kehrte das Mädchen mit ihrem Brautschmuck glücklich zur Mutter zurück. Da sagte die andere Tochter zur Mutter: „Nun will ich auch zum Mahlen in die Mühle reiten." Als sie aber zur Mühle kam, packten sie die Elfen, nahmen sie und schlachteten sie.

 

Griechische und albanische Märchen, 1864.

 

Räuber mahlen

Ein Müller hatte einen gottlosen Mühlknappen, dem er die Mühle nicht gern anvertraute, wenn er des Sonntags mit seiner Familie zur Kirche ging, denn er heiligte den Sonntag nicht und pflegte immer gegen das Gebot der Obrigkeit und seines Meisters am Feiertage zu mahlen. Einst ließ der Müller den Knappen aber doch wieder an einem Sonntage unter der Kirche allein und ging mit den Seinen durch das tauige Feld zur Kirche; da kamen viele Räuber an und krochen in's Mühlrad, denn die Mühle stand still und sie vermeinten, dass sie dort am Sonntag sich verborgen halten, dann aber unversehens in die Mühle gelangen und zur Nachtzeit den Müller berauben könnten. Da ward aber die Sonntagsruhe dem Mühlknappen bald zu still, darum schlug er die Mühle los. Alsbald fiel aus jeder Speiche des Mühlrades ein Räuber in's Wasser, dadurch entstand ein solches Geplätscher, dass die Leute in der nahen Stadt den Müller bei der Obrigkeit verklagten, weil seine Mühle am Sonntag ginge. Die Obrigkeit merkte sogleich, dass wieder der gottlose Mühlknappe daran schuld war, eilte hinaus und fragte ihn barsch, was er am Sonntag zu mahlen hätte? Da sagte der Mühlknappe: „Ratten!" und wollte die Obrigkeit höhnen; aber als die an's Mühlrad kam und eine ganze Räuberbande tot im Wasser fand, wurde er nicht gestraft, weil er den Sonntag entweiht hatte und auch der fromme Müller freute sich sehr, als er mit Weib und Kind aus der Kirche heimkehrte und dankte Gott, dass sein Hab und Gut so wunderbar aus der Hand der Räuber gerettet war.

Märchen für die Jungen, 1854

Der Müller und die Frösche.

Mündlich in Druffelbeck.

Es war einmal ein Müller, der hatte eigentlich gar kein Herz: Stehlen wie er hat wohl noch niemand gekonnt; doch noch schlimmer war es, dass er Kalk und andere unverdauliche Sachen unter das Mehl mischte und die armen Leutlein mit Hunden vom Hofe hetzte. Einst kam ein lahmer Mann auf seinen Krücken in die Mühle gehinkt, streckte die zitternde Hand aus und bat um ein Stücklein Brot. Der Müller fluchte, riss dem Unglücklichen die Krücken weg, warf ihn in eine Kiste voll grober Kleie und wälzte ihn um und um; und als er ihn bis aufs Blut gepeinigt hatte, gab er ihm die Krücken wieder und trieb ihn vom Hofe, indem er ihn mit einer Peitsche um die kranken Beine schlug. Der Bettler weinte helle Tränen und die sah Gott der Herr vom hohen Himmel. Als der Wüterich in seine Mühle zurückkehrte, stand das Gewerke still; er sah nach, und siehe, zahllose Fröschlein wimmelten im Bach und auf der Wiese und hatten das Wasser ausgetrunken bis auf den letzten Tropfen. Weil aber niemals Wasser wiederkam, die Fröschlein tranken es immer weg, raffte der Muller seine Schätze zusammen, zog weit, weit in ein anderes Land und kaufte sich eine andere Mühle. Kaum jedoch gehörte die Mühle ihm, so waren wieder zahllose Fröschlein da und tranken das Wasser aus bis auf den letzten Tropfen; und wohin er sich wenden mochte, der Fröschlein wurde er nimmer ledig und nie wieder hat er weißes Mehl gemahlen und endlich ist er verhungert und hat also ein jämmerliches Ende genommen.

 

Märchen und Sagen, 1854

 

Die versunkene Mühle in Stubendorf.

In Stubendorf bei Hotzenplotz ist ein Teich, dessen Wasser einen unangenehmen Geruch verbreitet. An der Stelle dieses Teiches soll einst eine Mühle gestanden sein, die aber eines Tages versank, weil die Müllerin aus den Brotwecken die „Weichel" herausnahm und die so ausgehöhlten Wecken als Schuhe verwendete.

 

Volkstümliches aus Österreich - Schlesien, 1867

Text und Glosse

Ein reicher Müller im Bayerland schickte seinen Sohn auf die Hochschule nach Ingolstadt, die Rechte zu studieren. Das währte drei Jahre und kostete den Müller ein rundes Sümmchen Geld. Dafür dachte er aber, wird mein Sohn auch was Nützliches gelernt haben. Als er nun wieder nach Hause kam, beschwerte sich der Alte über das viele Geld, das der Herr Sohn verstudiert habe. Gleichwohl sagte er, gäbe ich mich gerne zufrieden, wenn ich wüsste, dass es wohl angelegt wäre. Zeige mir einmal deine Bücher her. Da trug der Student ein schweres Buch herbei, das der Codex hieß. Darin war die Schrift in der Mitte grob, aber rings umher lief kleine feine Schrift. Da fragte der Müller: Was soll die doppelte Schrift bedeuten? Der Sohn versetzte: Die grobe Schrift in der Mitte ist der Text und die seine Schrift umher ist die Glosse. Der Müller sagte: Latein versteh ich nicht, sag mir's auf deutsch. Da sagte der Sohn: Der Text ist das Gesetz, das die Kaiser gegeben haben, Recht danach zu sprechen. Hernach haben aber die Gelehrten darüber geschrieben wie man es verstehen solle und bei Gerichten damit umgehen, ein Jeder nach seinem Verstände, ein Langes und Breites. Das nennt man die Glosse. Der Müller schwieg, obwohl es ihm nicht gefiel und sprach: Diesen Mittag bist du bei deinem Oheim, dem Pfarrer, zu Tisch: der wird mit dir zu Latein konversieren (unterhalten), dass ich höre, wie du Geld und Zeit angewandt hast. Während der Sohn nun beim Pfarrer zu Tische saß und sich auf den Zahn fühlen ließ, nahm d.'r Müller das Buch, das ad marginem glossiert war, zeichnets mit der Rötelschnur ab, nahm das Zimmerbeil und hieb die Glosse rund herum glatt hinweg; den Text aber ließ er stehen. Als der Sohn wiederkam und das Tentamen bei seinem Oheim, dem Pfarrer, wohl bestanden hatte, sah er das Buch auf dem Tisch liegen. Da schrie er Ach und Weh! Vater, warum habt ihr mir mein bestes Buch verdorben? Da sprach der Müller: Ich hab es nicht verdorben, sondern erst gut gemacht, den Text und die Wahrheit stehen lassen, und die Lügen der Gelehrten hinweg gehauen. Ach Vater, sagte der Student, von der Wahrheit kann ich nicht leben: wenn ich nicht auch List und Ränke kenne, Einreden und Widerreden, eine böse Sache zu schmücken und die Gegenpartei zu verdrücken, so kommt mir kein Brot ins Haus. Da geriet aber der Müller in Zorn und sprach: Solcher Kunst achten wir Dorfleute wenig und besitzen doch unser Gericht unter dem Himmel bei den Linden, wo wir nach der wahren Gerechtigkeit sprechen und in kurzer Zeit ein Urteil finden, wozu ihr oft lange Zeit braucht und die Sache hinschleppt, um euern Gewinn statt des gemeinen Nutzen zu suchen, daher es wahrhaftig ist wie das Sprichwort sagt, dass ihr Juristen nicht gute Christen seid. Hast du nur List und Ränke gelernt und weißt mit der Wahrheit nicht umzugehen, so will ich keinen Pfennig mehr für dich geben. Besser du ernährst dich wie ich mit deiner Hände Arbeit und lässt deine Juristerei fahren, als dass deine Seele Schaden nehme.

 

Deutsche Märchen, Karl Simrock - 1864
 

 

 
   

Fotos und Bilder von Windmühlen in Ostfriesland: Levrai.