C. M. Hafner - 1799

Wetterverhältnisse Dezember 1717
Die
Sturmflut bricht über die Menschen herein
Schrecken am
Tag nach der Sturmflutnacht
Sturmflut im
Berumer Amt
Sturmflut in
Bensersiel
Sturmflut im Gretmer
Amt
Sturmflut in Funnix
Wittmund hilft
verwaisten Kindern
Die
Not nach der Sturmflut
Not an der
ganzen Küste
Der 28. Dezember
1717
Der Häuptling zu Dornun lässt Menschen retten
Elend und Tod nach der
Sturmflut
Hilfe für
die Notleidenden
Auswirkungen der Sturmflut in Emden
Auswirkungen der Sturmflut in
Norden
Auswirkungen der Sturmflut in
Aurich
Auswirkungen der Sturmflut im
Harlingerland
Dauer der Sturmflut
Wiederaufbau der Deiche
Die Weihnachtsfluth im Jahr 1717.
Feuer und Wasser sind sehr gute Diener; aber sehr schlechte Herren.
Die Wahrheit dieses Satzes hat unser Vaterland in öfteren Seefluthen,
am meisten in der Weihnachtsfluth von 1717, welche Tod und Verderben
um sich her verbreitete, erfahren müssen. Alle andere Landplagen,
ansteckende Krankheiten an Menschen und Vieh, Plünderungen und
Verwüstungen feindlicher Heere, und innerliche Unruhen haben in einer
Reihe von Jahren zusammengenommen das Elend nicht hervorgebracht,
welches diese schreckliche Auch' in einer Nacht über unser Vaterland
hingegossen hat.
Dieses stelle ich Euch jezt auf, um das schöne Gefühl des Mitleids
gegen Unglückliche in Euch zu stärken und Euch zu veranlassen, über
unsern glücklichern Zustand sowol, als über die Unsicherheit aller
irdischen Glückseligkeit nachzudenken.
Diese schreckliche Überschwemmung wurde einige Tage vor Weihnachten
durch einen heftigen Sturm aus Südwesten vorbereitet. Am 24sten December drehete sich der Wind ins Westen; trieb die angeschwollene
See mehr gegen unsere Küsten hin, und erfüllete mit Furcht die Herzen
der Küstenbewohner. Weil aber gegen Mitternacht der Sturm abnahm und
um 3 Uhr des Morgens nach dem gewöhnlichen Gang der Wasser die Ebbe
einfallen mußte; der Wind noch keinen Strich vom Norden hatte und der
Mond im letzten Viertel stand, in welchem gewöhnlich die Fluth nicht
hoch zu steigen pflegt: so schien für diesmal die Gefahr vorüber zu
seyn. Sicher und ruhig bestiegen die Mehresten ihre Betten und
überließen sich dem wohlthätigen Schlaf. Unglückliche, euer Schlaf ist
ein Schlaf des Todes! — Mit grausenvoller Gewalt bricht unvermuthet um
2 Uhr des Nachts der Sturm aus Nordwest her. Die Erde erschüttert, die
Häuser wanken, die Bäume stürzen; die See schwillt zu einer ungeheuren
Höhe und wirft ihre schäumende Wellen über die bebenden Deiche hin.
Erwacht ihr noch nicht, ihr Schlafenden? — Noch eine kleine Weile
widerstehen die Deiche der schweren Wassermasse; aber nur eine Weile.
An verschiedenen Stellen weichen sie zurück, und nun strömts mit
fürchterlichem Brausen durch die Oefnungen hin. — Es ist Nacht! —
Schrecklicher tönt das Brausen des Sturms, das Rauschen der Wogen, das
Jammergeschrey der Erwachenden, das Gebrüll des angebundenen
Hornviehes. Jezt wollen sie fliehen, die unglücklichen Einwohner, aber
wohin? das wissen sie selbst nicht; die finstre Nacht verbirgt ihnen
jedes Rettungsmittel; der Tod dringt von allen Seiten auf sie ein! ——
Es wird Tag! — welch eine Veränderung! das schöne fruchtbare Land
gleicht einem weiten Meer, aus welchem hie und da die Uebereste
überschwemmter Dörfer gleich Inseln hervorragen.
Die mehresten Häuser waren in den
Gegenden, in welchen die Deiche niedergeworfen worden, eingerissen
oder vertrieben, und die noch standen, wankten bey jedem Wellenschlag.
So weit das Auge reichte, sahe man, gleich dem Schiffbruch, Dächer der
Hauser, Balken, Bretter, Sparren, Schränke, Kisten, Betten, Menschen,
Kühe, Pferde, Ochsen, Schweine, Hunde, Hasen, Korn und Haufen
ungedroschener Fruchte Md Heues, durcheinander vermischt, umher
treiben- Auf einigen dieser Haufen sahe man Bewegung und Leben; es
waren Menschen, welche auf Heu- oder Kornschobern, auf Balken und
Brettern ihre Errettung gesucht hatten. Dort erblickte man nackende
Menschen, welche die Fluth in ihren Betten überrascht hatte; ganze
Familien, Männer, Weiber, Väter, Mütter, Kinder, Säuglinge und
Erwachsene trieben daher, festgeklammert an Balken und Dächern. Hier
sah man andere Unglückliche an den Dächern der wankenden Häuser und an
den Gipfeln überhangender Bäume schweben. Umsonst hallte ihr Klageton
über die Gewässer, die Häuser sanken und die Bäume fielen; oder
Hunger, Kälte, Entkräftung, Muthlosigkeit begrub sie unter, den
Wellen. Bey Emden trieb die Oberetage eines Hauses mit einer ganzen
Famile die Oelmühle vorbey „helfet; erbarmet euch!" schrien die
Unglücklichen; aber aus der Mühle ertönte der trostlose Gegenruf:
„auch um uns ist es geschehen!" einige Augenblicke darnach war jene
verschwunden. ' .
Nur wenigen gelang es bey diesem allgemeinen Schiffbruche dem
Verderben zu entgehen. Von 13 Menschen, welche im
Berumer Amt auf
einem Dache herumtrieben, landeten 5 mit dem Ueberreste desselbigen an
einer Anhöhe. Die Begierde, ihr elendes Leben zu fristen, und die
Nothwendigkeit, ihre von der Kälte erstarrten Glieder zu erwärmen,
zwang sie hier, aus aufgefischten Brettern, Balken und Stroh ein
schwaches Floß zu verfertigen, mit dem sie zwar glücklich Resterhave
erreichten; aber 3 derselben gaben hier, von der Kälte erstarrt,
alsbald den Geist auf. In einer morastigen Gegend wurde ein ganzes
Feld mit dem darauf stehenden Hause, Menschen und Vieh, in die Höhe
gehoben und in eine andere Gegend versetzt.
Ein Schiffer vom
Bensersyhl trieb auf einem Balken mit 11 Menschen dahin; seine
Gefährten ertranken nach und nach, nur er allein hielt sich und kam zu
Burhave an; nach dem Sturm fand er sein Haus weggespuelet und sein
Schiff auf seiner Hausstelle stehend. Große Schiffe drangen durch die
zerrissenen Deiche und trieben ins Land, wo sie nach dem Sturm
entweder gescheitert oder mit großen Kosten abgebracht werden mußten.
Zu Bolkewehr, im
Gretmer Amt, wurde eine Familie von der Fluth
überrascht; Mann und Weib erstickten in ihrem Bette, nur die Magd
rettete sich an dem Sparrwerk des Bodens, Die Nachbarn fanden sie halb
im Waffer hängend zwar noch lebend, aber die beyden Kinder, welche
sich an ihrer Seite angeklammert hatten, erstarrt.
In der Gegend von Funnix siegt elterliche Liebe über Selbsterhaltung.
Einige Eltern vereinigen sich hier, ihren Kindern das Leben zu
erhalten, und bemächtigen sich zweyer Schiffe. In das eine setzen sie
60-, in das andere 20 Kinder, und überlassen sie es dem Strome und der
Leitung Gottes.-- Nachdem sie lange umhergetrieben, landen sie endlich
fast nackend und verhungert bey Wittmund. Und nun hört eine edle
Handlung, welche in Euren Augen mehr Werth haben wird, als die
Eroberung eines Landes
oder als die Abschlachtung von 10000 Feinden: Die
Wittmunder theilen
sich in diese armen Kinder, und ziehen sie aus den Schiffen mit sich
fort. Sie erquicken sie mit Speise und Trank, geben ihnen Kleider und
Betten, und suchen nach der Fluth ihre Eltern auf, von denen aber nur
wenig mehr am Leben sind. Großmüthig nehmen die Wittmunder die
elternlose Kinder wieder mit sich, vertheilen sie abermals unter sich,
vertreten Vater - und Mutterstelle an den Verlassenen, und sorgen für
ihre Pflege und Erziehung. Nicht wahr, ihr hättet an diesen Kindern
ebenso gehandelt ? -- Gewiß hat Gott die guten Wittmunder dafür
gesegnet. --
Säuglinge, Greise und besonders Schwangere, deren Kräfte zu schwach
waren, besondere Rettungsmittel zu ergreifen, wurden dennoch durch die
göttliche Vorsehung hin und wieder erhalten. So fand man z. B. eine
Frau, welche vor 3 Tagen auf einem schwimmenden Heuhaufen glücklich
entbunden worden war, mit ihrem Kinde gesund und frisch. Eine andere
Frau trieb auf einem Heuhaufen unter den Aesten eines aus dem Wasser
hervorragenden Baumes hin, und verwickelte sich in denselben mit ihren
langen Haaren. Schnell ergrif sie die Aeste und klammerte sich an
dieselbigen fest. Nach 2 Tagen rettete man sie, und sie gebar bald
darauf ein gesundes Kind. In Lützeburg fand man eine angetriebene
todte Frau, au deren kalten erstarretm Brust noch ein lebendiges Kind
sog; das Kind wurde ins Gasthaus gethan und versorgt.
In manchen Dörfern suchte man in den Kirchen, weil diese gemeiniglich
auf einem etwas erhabenem Orte erbaut sind, eine Zuflucht; aber auch
hier verfolgte der Tod die Entflohenen, indem sie abgemattet von Frost
und Hunger nach einigen Tagen hinsanken. Denen, die sich in die Kirche
zu Blaukirchen geflüchtet hatten, gelang es jedoch, ein treibendes
Stück todten Rindviehes aufzufischen, welches sie in der Kirche theils
kochten, theils brieten, und so ihr elendes Leben fristeten, bis sie
gerettet wurden. Dergleichen Beyspiele göttlicher Hülfe gab es
mehrere.
Diese schreckliche Veränderung erstreckte sich aber nicht blos über
unsere Seeküste hin, sondern das ganze Vaterland war mit derselben
heimgesucht worden; von Reiderland bis Jeverland, von der Ems bis zur
Jade war Verwüstung und Tod. Emden, Gretmer, Pewsumer und Norder Amt
standen völlig unter Wasser; Leerer, Auricher und Friedeburger Amt
waren zum Theil überströmt. Fast ganz Harrlingerland und die
Herrlichkeiten Oldersum, Petkum, Rysum, Lützeburg, Dornum, Gödens
schienen ein weites Meer zu seyn.
Diejenigen, welche dem Tode entgangen waren, machten gleich nach dem
Sturme Anstalten zur Bergung und Rettung der noch herumtreibenden und
hängenden Menschen und Sachen. Das schöne
Wetter am 28sten December
war diesem Vorhaben günstig. Es waren der Unglücklichen noch genug,
welche hie und da auf Heu - und Strohhaufen, zerrissenen Häusern und
Baumgipfeln ihre von Hunger und Frost erschlaften Arme ausstreckten.
Dürftig hatten sie sich mit vorbeytreibenden Wurzeln, Rüben, rohen
Bohnen, ungedroschenem Getreide und Kohlstengeln gesättiget;
vergeblich mit Salzwasser oder ihrem eigenen Urin den Durst gelöschet.
— Viele solcher Unglücklichen wurden jezt mit Böten, zusammengefügten
Brettern, Balken und Braukufen dem Elende entrissen; durch
menschenfreundliche und weise Anstalten der Obrigkeiten mit gesunden
Nahrungsmitteln vorsichtig erquicket und so ins Leben zurückgerufen;
so sollen durch die Veranstaltungen des
Häuptlings zu Dornum, Haro
Joachim von Closter, wohl 1000 Menschen gerettet seyn.
Das feindselige Meer hatte sich nun von dem verwüsteten Lande ganz
zurückgezogen und jezt eine neue Scene des Jammers eröfnet. Hier
erblickte man erstarrte Mütter mit ihren. Säuglingen in den Armen,
Eheleute mit Stricken an einander gebunden. Dort an den Bäumen
scheusliche Leichen hangend und auf den Aeckern von Hunden und
Raubvögeln Angefressene liegend, welche zusammengesucht und in großen
Löchern verscharrt wurden. Einige derselben zog man unter den Ruinen
ihrer Häuser, andere unter dem Schlamm hervor. Bey Dornum fand man
allein auf einer Stelle 30 Leichen. Bis in dem Sommer hinein suchte
und fand man sie; doch die mehresten hatte die See mit sich
fortgerissen. Durch das Zurücktreten derselbigen war darum das Elend
der Lebenden nicht vermindert worden. Die Uebergebliebenen hatten zwar
ihr Leben, aber auch weiter nichts als ihr Leben gerettet. Ihre
Ehegatten, ihre Eltern, ihre Söhne, Töchter, Bräute, Brüder,
Schwestern, Freunde und Bekannte waren dahin -- dahin jezt in den
harten Tagen des Winters ihre Kleidungen und Wohnungen, deren Spur sie
oft vergeblich suchten
--
dahin ihr Vermögen, baares Geld, Vieh, Vorrath von Torf und allerley
Lebensmitteln
--
sie standen trostlos da als Schiffbrüchige.
Zwar hatte die See nicht alles mit sich
weggeführt; viele Betten, Kisten und Kasten mit Kleidungsstücken
blieben hie und da im Schlamm und auf erhabenen Orten oder unter dem
Schutt liegen; allein selten oder gar nicht bekamen die rechten
Eigentümer diese Sachen wieder. Es gab der Bösewichter viele, welche,
nachdem sie selbst kurz vorher, halb nackend und halb todt, erquickt,
hergestellt und gerettet worden, sich aufs Rauben und Plündern legten,
und sich beym allgemeinen Schiffbruch für ihren eigenen Verlust
schadlos zu machen suchten. Diese Undankbaren verdienten ihr neues
Leben nicht. —
Zwar kamen aus fernen Gegenden ansehnliche milde Gaben zur
Unterstützung der Nothleidenden; zwar theilten diejenigen, welche am
wenigsten gelitten hatten, einiges Brod und Kleider mit; allein dies
wollte für die Menge nicht zureichen, besonders da wegen des Amel- und
Mäusefraßes im vorigen Jahr 1716 der Vorrath im Lande nur gering
gewesen war. Das größte Uebel, mit welchem die armen Schifbrüchigen zu
kämpfen hatten, war der Mangel an frischem Wasser. Alle Kanäle,
Brunnen und Regenkeller waren mit Schlamm und Seewasser angefüllt, und
so geschwinde ließen sie sich nicht reinigen. Menschen und Vieh
schmachteten vor Durst, den man nur kümmerlich mit Schnee löschte. Wer
noch einen reinen Brunnen hatte, der verkaufte das Wasser zu einem so
hohen Preise, daß es der Arme nicht bezalen konnte. Hin und wieder
grub man Löcher in die Erde, um eine Quelle süßen Wassers zu finden;
und fand man eine: so mußte man sie wegen der Diebe mit einer
tüchtigen Wache besetzen. Dieser elende Zustand dauerte nicht blos
einige Wochen, sondern den ganzen Winter hindurch; denn weil das Land
offen lag: so trat die See mit jeder Fluth wieder ins Land, und
zerstörte mit jedem Sturm, was mit vieler Mühe nothdürftig am Deiche
hergestellet worden war.
Durch das ganze Land hin hatte diese Fluch die traurigsten Spuren
eingedrückt. Ganz Emden, die große Deichstraße und ein kleiner Theil
der Burgstraße ausgenommen, stund unter Wasser; in einigen Häusern an
5 bis 7 Fuß hoch. In manchen Straßen, in denen man vorher nie
Seewasser gesehen hatte, fuhr man noch 3 Tage nach der Hauptfluth mit
Kähnen und kleinen Schiffen, und in niedrigen Gegenden der Stadt
mußten ganze Familien auf Böden und Dachstuben einige Tage ohne Licht,
Feuer und zum Theil ohne Nahrungsmittel aushalten. Wegen der leichtern
nachbarlichen Hülfe war die Zahl der Ertrunkenen in der Stadt nur
gering, indem nur eine Frau und ein kranker Mann ihr Leben einbüßten;
dagegen war die Zahl des ertrunkenen Hornviehes, 174 Stück nemlich,
desto größer; auch der Schade an verdorbenem Hausgeräthe sehr
beträchtlich. Ein Theil der Emsmauer lag darnieder; die Gräber waren
eröfnet, die Leichen vertrieben, das Straßenpflaster an vielen Stellen
aufgerissen und die Bolthenthorsbrücke nebst der langen Brücke mit dem
Wachhause weggespület. Auf dem platten Lande, besonders auf den
Dörfern Emder Amts waren die Spuren der Verheerung noch zahlreicher
und grausender, da die niederemsischen Deiche fast ganz verschwunden
und im ersten Quartier derselben ein Kolk von 15 Ruthen* weit und 70
Fuß* tief ausgespület worden. In Gretsyhl hatte der Strom 48 Menschen
und 18 Hauser fortgeführet, auch war im Amte ein großer Kolk.
Das Norderamt hatte sechs weite und tiefe Kolken, deren größter an der
Westseite des, Deiches 30 Ruthen* Weite und in dem Fuß des Deichs 42
Fuß* Tiefe maß. Der ganze Deich der Westermarsch war völlig
weggespület und Sie Zahl der Ertrunkenen belief sich auf 300, der
niedergestürzten Häuser auf 80. Auf dem Neuen Wege in der Stadt Norden
fuhr man mit Kähnen, und in der Kehringsstrasse stieg das Wasser bis
an die Ziegel einiger Hauser. Auch die Berumer Deiche, besonders in
der Ostermarsch, waren sehr beschädiget, und die Zahl der Leichen
betrug 585.
Die Stadt Aurich war zwar wegen ihrer Lage nicht überschwemmet worden;
dagegen war der Schade im Amte sehr beträchtlich. Das Leerer Amt
verlor 5 Menschen und 12 Häuser. Friedeburger Amt 1 Menschen nebst
einigen Pferden und Kühen. Stickhauser Amt litt fast gar nicht. In der
Herrlichkeit Petkum wurde das feste Haus des Amtmanns mit allem
Hausgeräthe bis auf den Grund weggespület; vierzehn Menschen verloren
ihr Leben. In Rysum ertranken 13 Menschen und in Lützeburg 60. Härter
war der Schlag in der Herrlichkeit Dornum; hier wurden 67 Häuser mit
Menschen, Vieh und Meubeln in der Gegend des DornumerSyhls völlig
niedergerissen und 314 Menschen ein Raub der Wellen.
Harrlingerland litte verhältnißmäßig noch mehr als Ostfriesland. Die
Stadt Esens und der Flecken Wittmund blieben zwar verschont, desto
weniger aber die Aemter. Das Esener Amt verlor 842 Menschen und 231
Hauser; das Wittmunder 373 Menschen und 86 Häuser. Auf Akkumer Syhl
standen von 100 Häusern nur noch sieben. Weniger litten die Inseln
wegen ihrer Höhe über den Wasserspiegel; doch war der Schade immer
noch beträchtlich. Der Borkumer Deich wurde sehr zerrissen. Auf
derJuist wurden die Häuser so beschädigt, daß die Insulaner sie nach
der Fluth zum Theil abbrechen und nach den höhern Theil der Insel
versetzen mußten. Auf Langeoog wurde die Kirche so sehr verdorben, daß
der öffentliche Gottesdienst von dieser Zeit an daselbst aufhörte und
die Insulaner nach Esens eingepfarret wurden.
Folgende Tabellen werden dazu dienen, den Schaden, welchen unser
Vaterland sowol als die ganze nördliche Küste an Häusern, Menschen und
Vieh durch diese Fluth gelitten hat, mit einem Blick zu übersehen.
(...)
Hievon ist der große Schade noch ausgenommen, welcher an
weggetriebenen und verdorbenen Gütern, Hausgeräthe, Waaren, ruinirten
Deichen und Schleusen geschehen ist.
Diese schreckliche Seefluth dauerte Anfangs die 3 Weihnachts -
Feyertage ununterbrochen fort; unterbrochen aber bis zum 19ten März
1718, und jezt erst konnte man an Wiederherstellung der weggerissenen
Deiche denken.
Am 19ten September 1718 wurden die Jeverischen Deiche unter der
Aufsicht des Drosten Anton Günther von Münnich zuerst fertig; bald
darauf auch die Knyphausischen und Harrlingerländischen Deiche.
Bürgerkrieg, Uneinigkeit, Mangel an Geld und Kunstverständigen
verzögerten lange die Herstellung der ostfriesischen Deiche; das
wenige, was man flickte, rissen neue Ueberschwemmungen wieder nieder.
Erst am 4ten Dec. 1723 wurde der neue Kaydeich der ober- und
niederemsischen Deichachten durch den Patriotismus und Fleiß der Stadt
Emden für 270000 Gulden hergestellet, abgeliefert; der
Hauptdeich aber am 1. August 1725 für 800000 Gulden. Hiedurch wurde
die Landschaft in eine Schuldenlast von 2232758 Gulden gesetzt, von
denen 2608338 Gulden zum Deichbau selbst verwendet worden waren.
Wo Furcht und Angst die Herzen brach,
Wo Wasserströme schreckten.
Wo Deich und Wohnung niederlag.
Das Feld Ertrunkne deckten,
Da seh'n wir jezt die goldne Zeit, -
Des Vaterlandes Flor erneut
Und Gottes Segensfülle.
Wehr', Herrscher über Erd' und Meer,
Den Stürmen und den Fluthen;
Verbreite ferner um uns her
Die Fülle alles Guten.
Beschütze du mit starker Hand -
Der Schleusen und der Deiche Land,
Den Flor des Vaterlandes!
*1 Ruthe = 16 Fuß
(') = 4,6735 m, 1 Fuß = 12 Zoll ('') = 29,21 cm
Weihnachtsflut von 1717 in Ostfriesland
nach einer historischen Quelle von 1799. Sturmfluten in Ostfriesland.
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